Mein Arbeitsleben lang habe ich mein Geld mit Sprachkenntnissen verdient, als Journalist und Übersetzer vom Englischen ins Deutsche. Während meiner Ansicht nach die Klagen über den „Verfall der deutschen Sprache“ ständig zunehmen, kann ich mich über vieles gar nicht richtig aufregen und bin andererseits genervt von Unsitten, die deutlich werden lassen, dass viele Schreiber/Sprecher sich wenig Gedanken um die Bedeutung dessen machen, was sie von sich geben. Dabei spreche ich gar nicht von Fehlern, die natürlich auch ich begehe. Vielmehr geht es mir um Floskeln und abenteuerlichen Begriffs- und Phrasenmonster, die mir häufig das Gehirn verkleben.
Aber wo anfangen, wenn ich doch nur eine Zeitung aufschlagen oder eine Sendung im Fernsehen einschalten muss, um Beispiele über Beispiele zu entdecken? Machen wir es einfach und nehmen uns das Paar „anscheinend/scheinbar“ vor, über das ich erst gestern mit meiner älteren Tochter debattiert habe. Wir können allerdings beide zwischen den unterschiedlichen Bedeutungen unterscheiden und haben beide den Eindruck, dass furchtbar vielen anderen diese Fähigkeit abhanden gekommen ist.
Also: „´scheinbar“ bedeutet: Etwas ist anders, als es den Anschein hat.
Ist eine Farbe „scheinbar“ schwarz, dann ist sie in Wirklichkeit eben NICHT schwarz, zum Beispiel alles Rote in einer Schwarzweißfotografie.
Dagegen lässt „anscheinend“ die Wirklichkeit so oder so ausfallen.
Das „anscheinend“ Schwarze könnte schwarz sein, möglicherweise aber auch eine ganz andere Farbe haben. Die betrachtende Person weist dagegen lediglich auf die für sie wahrscheinlichste Version in ihrer Wahrnehmung hin.
›Die Erdbeeren schmecken scheinbar gut‹ – (zum Beispiel) Es entsteht der Eindruck, die Erdbeeren schmecken gut, aber in Wirklichkeit sind sie ekelhaft!
›Die Erdbeeren schmecken anscheinend gut‹ – Ich habe die Erdbeeren zwar noch nicht probiert, aber dem Eindruck nach sind sie wohl sehr lecker.