Die Ewigkeit im Wimpernschlag

Was ist Liebe? Wer könnte die Frage für jederfrau schlüssig beantworten?

Ich habe Bekannte, die hängen der Idee der Polyamorie an, laut Wikipedia  eine Form des Liebeslebens, bei der eine Person mehrere Partner liebt und zu jedem einzelnen eine Liebesbeziehung pflegt, wobei diese Tatsache allen Beteiligten bekannt ist und einvernehmlich gelebt wird. Polyamorie Beziehungen gründen auf der Absicht, die gewünschten Beziehungen langfristig und vertrauensvoll miteinander zu gestalten, meist schließen die Verliebtheit,  Zärtlichkeit und Sexualität ein.

ich glaube zwar ebenfalls nicht an die exklusive Liebe, aber das zitierte Konzept det Polyamorie erscheint mir dennoch zu sehr sexuell ausgerichtet und die Einvernehmlichkeit als steter Unsicherheitsfaktor, Der körperliche Aspekt einer Zweierbeziehung ist für mich auch nicht mit Liebe identisch, und umgekehrt. Zu einer Zweierbeziehung, die körperliche „Liebe“ einschließt, gehört wohl doch eine feste Treue, durch´´ die die Einvernehmlichkeit gewahrt bleibt und die Verliebtheit, Zärtlichkeit und Sexualität eine für beide/alle Seiten verlässliche Grundlage gibt.

Für mich liegt Liebe im Augenblick, der sich ja durchaus wiederholen oder über lange Zeit (bis zur „Ewigkeit“) anhalten kann. Bewusstsein und Unterbewusstsein halten diese Augenblicke jedenfalls für die Ewigkeit fest. Am einfachsten ist es wohl, diesen Gedanken mit ein paar Beispielen zu erläutern.

Als ich vor Jahren meine Töchter regelmäßig zur Schule gefahren habe, holte ich mir auf dem Rückweg immer im Supermarkt ein paar Brötchen vom Marktbäcker. So stand ich wieder einmal vor der Selbstbedienungsstation und bekam die vermaledeite Tüte zum Einpacken nicht auf. Plötzlich stand eine junge Frau neben mir, nahm mir resolut die Tüte aus der Hand, hatte sie mit einer Bewegung geöffnet und gab sie mir mit einem Lächeln zurück. Ehe ich mich noch bedanken konnte, war sie wieder verschwunden.

Wenn wir gelegentlich nach Eisenach fuhren, um dort Geschäfte zu durchstöbern, setzte ich mich oft in die Sky Bar, um dort einen Kaffee zu trinken. Damals gab es dort eine Bedienung, die in meinem Empfinden immer aussah, als wäre sie des Morgens verprügelt worden und wolle gleich in Tränen ausbrechen. Als sie mir wieder einmal meinen Kaffee auf den Tisch stellte, suchte ich ihren Blick und sagte deutlich an sie gerichtet: „Vielen Dank!“ Nachdem sie bis dahin die Augen niedergeschlagen hatte, hob sie jetzt den Blick, erwiderte meinen und schenkte mir ein Lächeln, für das mancher gleich einen Heiratsantrag machen würde.

Als ich im vorletzten Jahr zwei Mal in einer Woche in der Universitätsklinik Göttingen schwere Operationen hinter mich bringen musste, lag ich danach auf der Intensivstation und dachte, möglicherweise sei mein letztes Stündchen angebrochen. Gerade einmal war ich wieder ein Stück weit bei Bewusstsein, da legte sich eine Hand auf meinem Schulter. Eine junge Ärztin eröffnete mir, dass sie für mich zuständig sei, und sagte, das Gröbste sei bereits überstanden. Sie erwähnte weiterhin, dass sie am nächsten Tag frei hätte, aber trotzdem irgendwann vorbeikommen würde, um nach mit zu sehen: „Schließlich muss ich wissen, ob es meinem Patienten gut geht!“

Erst vor ein paar Tagen habe ich mir eine neue Brille anpassen lassen, und saß an einem Tisch, um mich im Spiegel von ihrem Sitz und ihrer Wirksamkeit zu überzeugen. Auch am Nachbartisch saß ein Paar, und er probierte ebenfalls eine neue Brille. Sie dagegen blickte MIR mit einem bestätigenden Nicken tief in die Augen; ich musste wohl den Eindruck gemacht haben, dass ich an meiner neu erworbenen Sehhilfe zweifelte.

Diese Art von im Grunde sprachlosen Begegnungen ist es, die ich meine. Der Augenblick ist meist vorbei, bevor man ihn noch richtig wahrgenommen hat. Man hat das Gegenüber nie zuvor getroffen und wird es möglicherweise niemals wiedersehen. Trotzdem ist die Begegnung hyperintensiv, für einen winzigen Moment steht die Erde still, und es gibt nur noch zwei Personen, während für den Bruchteil einer Sekunde nichts anderes mehr eine Bedeutung hat.

Ich hatte es bereits einmal angedeutet: Susanne ist, nachdem wir seit mehr als 35 Jahren unser Leben teilen, immer noch in der Lage, mir entsprechende Momente zu spendieren. Ich weiß, ich liebe, und ich bin ein glücklicher Mensch!

Hört sich nach einem passenden Abschluss dieses Beitrags an? Moment, es fehlt die Hintergrundmusik.

Massive Attack – Safe from Harm (Live) (Quelle: YouTube)

Ich LIEBE auch dieses Stück, besonders den Refrain:

I was lookin‘ back to see if you were lookin back at me
To see me lookin back at you

(Ich blickte mich um, ob du dich umblickst, um zu sehen, wie ich mich nach dir umdrehe)

Falls sich die Blicke treffen, hat auch die Begegnung für die Ewigkeit stattgefunden. Ein unauslöschbares Band ist geknüpft, das fortbesteht, auch wenn es keine weitere Begegnung mehr gibt.

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