Alice Phoebe Lou stammt aus Südafrika, lebt aber seit vielen Jahren überwiegend in Berlin. Sie ist Straßenmusikerin, und musiziert noch heute oft auf der Straße. Ein Grund mehr für Spaziergänge in der Hauptstadt!
Schöner Schein
Mein Arbeitsleben lang habe ich mein Geld mit Sprachkenntnissen verdient, als Journalist und Übersetzer vom Englischen ins Deutsche. Während meiner Ansicht nach die Klagen über den „Verfall der deutschen Sprache“ ständig zunehmen, kann ich mich über vieles gar nicht richtig aufregen und bin andererseits genervt von Unsitten, die deutlich werden lassen, dass viele Schreiber/Sprecher sich wenig Gedanken um die Bedeutung dessen machen, was sie von sich geben. Dabei spreche ich gar nicht von Fehlern, die natürlich auch ich begehe. Vielmehr geht es mir um Floskeln und abenteuerlichen Begriffs- und Phrasenmonster, die mir häufig das Gehirn verkleben.
Aber wo anfangen, wenn ich doch nur eine Zeitung aufschlagen oder eine Sendung im Fernsehen einschalten muss, um Beispiele über Beispiele zu entdecken? Machen wir es einfach und nehmen uns das Paar „anscheinend/scheinbar“ vor, über das ich erst gestern mit meiner älteren Tochter debattiert habe. Wir können allerdings beide zwischen den unterschiedlichen Bedeutungen unterscheiden und haben beide den Eindruck, dass furchtbar vielen anderen diese Fähigkeit abhanden gekommen ist.
Also: „´scheinbar“ bedeutet: Etwas ist anders, als es den Anschein hat.
Ist eine Farbe „scheinbar“ schwarz, dann ist sie in Wirklichkeit eben NICHT schwarz, zum Beispiel alles Rote in einer Schwarzweißfotografie.
Dagegen lässt „anscheinend“ die Wirklichkeit so oder so ausfallen.
Das „anscheinend“ Schwarze könnte schwarz sein, möglicherweise aber auch eine ganz andere Farbe haben. Die betrachtende Person weist dagegen lediglich auf die für sie wahrscheinlichste Version in ihrer Wahrnehmung hin.
›Die Erdbeeren schmecken scheinbar gut‹ – (zum Beispiel) Es entsteht der Eindruck, die Erdbeeren schmecken gut, aber in Wirklichkeit sind sie ekelhaft!
›Die Erdbeeren schmecken anscheinend gut‹ – Ich habe die Erdbeeren zwar noch nicht probiert, aber dem Eindruck nach sind sie wohl sehr lecker.
Belgien zum Dritten
Mir scheint, Jazzsängerinnen waren vor 100 und sogar von 70 Jahren beliebter als heute und in der näheren Vergangenheit. Trotz Interesse habe ich das Feld nicht viel weiter aufbereitet als bis zu der Erkenntnis, dass Doris Day viel mehr war als eine Schauspielerin in Familienfilmen.
Umso spannender ist es, hin und wieder auf relativ neue Acts zu stoßen, nicht nur bei Sängerinnen, sondern auch bei Musikerinnen ganz allgemein. Sehr begeistert hat mich die Entdeckung von Melanie De Biasio. Ich dachte zunächst an eine Italienerin, fand aber heraus, dass die Künstlerin in Belgien geboren und zu Hause ist. Hier ein Beispiel für ihr Schaffen:
Belgien zum Zweiten
Selah Sue hatte bereits seit ihrem 16. Lebensjahr regelmäßige Auftritte als Support bei Auftritten viel bekannterer Musiker (sogar im Vorprogramm eines Prince-Konzerts) und mit 20 ihren ersten Plattenvertrag. Obwohl ihre Alben in den Charts von Belgien, den Niederlanden, aber auch in Frankreich und der Schweiz regelmäßig vordere Plätze erklimmen, ist sie in Deutschland kaum bekannt. Hier einer ihrer Erfolgstitel:
Die bedeutenden Bretter
1964 besuchte ich die Weerth-Schule in Detmold. Dort wurde schon ab dem zweiten/dritten Schuljahr in den unteren Klassen Theater gespielt. In Ball im Stall übernahm ich die Rolle des Schweinchens. Aus Blumendraht, Watte und Heftpflaster hatte meine Mutter mir ein erstklassiges Ringelschwänzchen gebastelt. Damit war mein Auftritt wohl äußerst überzeugend, und bei der nächsten Produktion bekam ich eine Hauptrolle: das siebte Geißlein in Der Wolf und die sieben Geißlein. Als Winzling durfte ich Bernd S., den Klassenstärksten, ordentlich „verprügeln“.
Einmal Hauptrolle, immer Hauptrolle! Beim nächsten Theaterstück war mir der Charakter des Prinzen zugedacht, der am Ende des Abenteuers die Prinzessin küsst. Und die Prinzessin war mit einer echten Schönheit besetzt!
Kurz nach Verteilung der Rollen musste ich aber einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen. Man schickte mich nämlich zur Fresskur nach Bad Wörishofen, mitten in der Probenzeit für die Märchenaufführung. Als ich zurückkehrte, hatte ich eine Umbesetzung der Prinzenrolle hinzunehmen und durfte gar nicht mehr mitspielen. 🙁
Damit war auch meine Theaterkarriere beendet, bevor sie richtig begonnen hatte. Immerhin hatte ich in Bad Wörishofen beim Schachturnier einen Volkswagen Käfer gewonnen, der mir ein bisschen Trost verschaffte, bis der Schlüssel zum Aufziehen verloren ging.
Stippvisite in Belgien
Wer in diesem Blog liest, wird bereits mitbekommen haben, dass ich es liebe, „ neue“ Musik zu entdecken, obwohl meine Empfehlungen oft auch schon wieder ein Vierteljahrhundert und mehr auf dem Buckel haben. Vorwiegend lasse ich mich von Musikdiensten und Radiokanälen inspirieren, die thematisch vorgehen und vielseitige Playlists bieten. In meiner „ belgischen“ Phase (oder wars die Triphop-Expedition?) stieß ich einst auf Hooverphonic und insbesondere auf deren Konzert in Antwerpens Koningin Elisabethzaal 2012 gemeinsam mit einem ganzen Orchester. Fast alles davon ist einzeln oder insgesamt auf YouTube zu finden. Hier nur ein Beispiel:
Aus der Nähe
Ich weiß gar nicht mehr, wo ich Me and My Drummer zum ersten Mal gehört habe. Jedenfalls habe ich auf Anhieb gedacht; Für nur zwei Musiker;innen ist das ganz schön viel Musik! Später habe ich die beiden zweimal live gehört und gesehen, und es hat mir beide Male sehr gefallen. Im folgenden Beispiel ist das Duo als Trio augetreten, nämlich mit Kat Frankie, die iich ebenfalls schon zweimal live erlebt habe. Me and My Drummer gibt es mittlerweile nicht mehr, und das, was Charlotte Brandi derzeit macht, ist auch nicht mehr so meins. Drummer Matze Pröllochs ist wieder als freier Musiker/Theatermusiker tätig.´´ Kat Frankie hat so viele Projekte, das man immer wieder nur staunen kann, trotzdem habe ich den Eindruck, dass sie nicht so bekannt ist, wie sie es meiner Ansicht nach verdienen würde. Im Folgenden also stehen alle drei auf einer Bühne:
Bittersüßer Schmerz
„Liebeskummer lohnt sich nicht“ behauptete 1964 Siw Malmquist: „Schade um die Tränen in der Nacht!“ Und meine Freundin Regina behauptete neulich, ab 35 oder so sei man ohnehin aus der Sache mit dem Verlieben hinausgewachsen. Zwar bin ich jetzt fast doppelt so alt, aber für den Fall des Falles sollte man wenigstens den passenden Soundtrack bereitliegen haben.
Das schönste Liebeskummerlied stammt in meinen Augen von Archive:
Aber auch sonst finde ich Archive hörenswert, zum Beispiel mit der Spotfy-Playlist „This is Archive“.
Sound des Tages
23. Februar 2023
Der britische Singer-Songwriter Christopher Taylor hat sein Bandprojekt „Sohn“ genannt, weil er meinte, der deutsche Begriff würde ihn davor bewahren, in irgendeine Kategorie eingeordnet zu werden. Geholfen hat es letzten Endes nicht, denn die Wikipedia weiß zu berichten, dass die Musik von Sohn den Genres Electronica- und Post-Dubstep zuzuordnen ist.
Reich und berühmt ist er damit meines Wissens auch noch nicht geworden, aber ich höre ihn ganz gern mal als Hintergrundmusik, zum Beispiel mit der Spotify-Playlist „This is Sohn“. Einen der enthaltenen Titel habe ich als Beispiel ausgesucht:
Die Ewigkeit im Wimpernschlag
Was ist Liebe? Wer könnte die Frage für jederfrau schlüssig beantworten?
Ich habe Bekannte, die hängen der Idee der Polyamorie an, laut Wikipedia „eine Form des Liebeslebens, bei der eine Person mehrere Partner liebt und zu jedem einzelnen eine Liebesbeziehung pflegt, wobei diese Tatsache allen Beteiligten bekannt ist und einvernehmlich gelebt wird. Polyamorie Beziehungen gründen auf der Absicht, die gewünschten Beziehungen langfristig und vertrauensvoll miteinander zu gestalten, meist schließen die Verliebtheit, Zärtlichkeit und Sexualität ein.“
ich glaube zwar ebenfalls nicht an die „exklusive“ Liebe, aber das zitierte Konzept det Polyamorie erscheint mir dennoch zu sehr sexuell ausgerichtet und die Einvernehmlichkeit als steter Unsicherheitsfaktor, Der körperliche Aspekt einer Zweierbeziehung ist für mich auch nicht mit Liebe identisch, und umgekehrt. Zu einer Zweierbeziehung, die körperliche „Liebe“ einschließt, gehört wohl doch eine feste Treue, durch´´ die die Einvernehmlichkeit gewahrt bleibt und die Verliebtheit, Zärtlichkeit und Sexualität eine für beide/alle Seiten verlässliche Grundlage gibt.
Für mich liegt Liebe im Augenblick, der sich ja durchaus wiederholen oder über lange Zeit (bis zur „Ewigkeit“) anhalten kann. Bewusstsein und Unterbewusstsein halten diese Augenblicke jedenfalls für die Ewigkeit fest. Am einfachsten ist es wohl, diesen Gedanken mit ein paar Beispielen zu erläutern.
Als ich vor Jahren meine Töchter regelmäßig zur Schule gefahren habe, holte ich mir auf dem Rückweg immer im Supermarkt ein paar Brötchen vom Marktbäcker. So stand ich wieder einmal vor der Selbstbedienungsstation und bekam die vermaledeite Tüte zum Einpacken nicht auf. Plötzlich stand eine junge Frau neben mir, nahm mir resolut die Tüte aus der Hand, hatte sie mit einer Bewegung geöffnet und gab sie mir mit einem Lächeln zurück. Ehe ich mich noch bedanken konnte, war sie wieder verschwunden.
Wenn wir gelegentlich nach Eisenach fuhren, um dort Geschäfte zu durchstöbern, setzte ich mich oft in die Sky Bar, um dort einen Kaffee zu trinken. Damals gab es dort eine Bedienung, die in meinem Empfinden immer aussah, als wäre sie des Morgens verprügelt worden und wolle gleich in Tränen ausbrechen. Als sie mir wieder einmal meinen Kaffee auf den Tisch stellte, suchte ich ihren Blick und sagte deutlich an sie gerichtet: „Vielen Dank!“ Nachdem sie bis dahin die Augen niedergeschlagen hatte, hob sie jetzt den Blick, erwiderte meinen und schenkte mir ein Lächeln, für das mancher gleich einen Heiratsantrag machen würde.
Als ich im vorletzten Jahr zwei Mal in einer Woche in der Universitätsklinik Göttingen schwere Operationen hinter mich bringen musste, lag ich danach auf der Intensivstation und dachte, möglicherweise sei mein letztes Stündchen angebrochen. Gerade einmal war ich wieder ein Stück weit bei Bewusstsein, da legte sich eine Hand auf meinem Schulter. Eine junge Ärztin eröffnete mir, dass sie für mich zuständig sei, und sagte, das Gröbste sei bereits überstanden. Sie erwähnte weiterhin, dass sie am nächsten Tag frei hätte, aber trotzdem irgendwann vorbeikommen würde, um nach mit zu sehen: „Schließlich muss ich wissen, ob es meinem Patienten gut geht!“
Erst vor ein paar Tagen habe ich mir eine neue Brille anpassen lassen, und saß an einem Tisch, um mich im Spiegel von ihrem Sitz und ihrer Wirksamkeit zu überzeugen. Auch am Nachbartisch saß ein Paar, und er probierte ebenfalls eine neue Brille. Sie dagegen blickte MIR mit einem bestätigenden Nicken tief in die Augen; ich musste wohl den Eindruck gemacht haben, dass ich an meiner neu erworbenen Sehhilfe zweifelte.
Diese Art von im Grunde sprachlosen Begegnungen ist es, die ich meine. Der Augenblick ist meist vorbei, bevor man ihn noch richtig wahrgenommen hat. Man hat das Gegenüber nie zuvor getroffen und wird es möglicherweise niemals wiedersehen. Trotzdem ist die Begegnung hyperintensiv, für einen winzigen Moment steht die Erde still, und es gibt nur noch zwei Personen, während für den Bruchteil einer Sekunde nichts anderes mehr eine Bedeutung hat.
Ich hatte es bereits einmal angedeutet: Susanne ist, nachdem wir seit mehr als 35 Jahren unser Leben teilen, immer noch in der Lage, mir entsprechende Momente zu spendieren. Ich weiß, ich liebe, und ich bin ein glücklicher Mensch!
Hört sich nach einem passenden Abschluss dieses Beitrags an? Moment, es fehlt die Hintergrundmusik.
Ich LIEBE auch dieses Stück, besonders den Refrain:
I was lookin‘ back to see if you were lookin back at me
To see me lookin back at you
(Ich blickte mich um, ob du dich umblickst, um zu sehen, wie ich mich nach dir umdrehe)
Falls sich die Blicke treffen, hat auch die Begegnung für die Ewigkeit stattgefunden. Ein unauslöschbares Band ist geknüpft, das fortbesteht, auch wenn es keine weitere Begegnung mehr gibt.